Was halten Sie von technischen Assistenzsystemen und Pflegerobotern?
Die Digitalisierung bietet ganz neue Möglichkeiten, etwa in der Telemedizin. Fernbehandlung und Videosprechstunden können ein großer Fortschritt sein, gerade für Menschen, die nicht in den Ballungszentren leben. Dem sollten wir uns nicht verschließen. Der Dienst vom Menschen am Menschen ist aber nicht ersetzbar. Das Bedürfnis nach Nähe, nach Aufmerksamkeit, nach Gesprächen kann eine Maschine nicht erfüllen. Wir werden deshalb auch in Zukunft viele Menschen brauchen, die sich darum kümmern und das auch gerne tun. Ich habe einen Riesenrespekt vor allen, die diese Arbeit haupt- und ehrenamtlich machen.
Früher wurden pflegebedürftige Menschen meist von ihren Angehörigen betreut.
Ja, aber auch hier greift die demografische Verschiebung. In meiner Generation bekamen etwa 10 Prozent aller Menschen keine Kinder, von denen, die 1970 geborenen wurden, sind es 30 Prozent. Das hat natürlich Konsequenzen für die häusliche Pflege. Deshalb finde ich es richtig, dass Kinderlose 0,25 Prozent mehr in die Pflegeversicherung einzahlen als Berufstätige mit Kindern.
Hielten Sie es für richtig, diesen Aufschlag für Kinderlose weiter zu erhöhen?
Ja, ich finde, darüber sollte man nachdenken. Es ist schon wirklich viel, was Familien im Bereich der Pflege leisten. Dafür sollte es einen angemessenen Ausgleich geben, denkbar wäre etwa eine rentenfähige Familien-Pflegezeit.
Sie selbst sind 77 Jahre alt. Wie hat sich Ihr Alltag durch das Älterwerden verändert?
Ich habe zum Beispiel kein eigenes Auto mehr, das Fahren überlasse ich meiner Frau. Ansonsten bin ich zum passionierten Bahnfahrer geworden. Nun wohne ich allerdings auch im Ruhrgebiet, zum Bahnhof und zur nächsten U-Bahn habe ich es nicht weit. Ich kann da gut mit leben, aber eine Umstellung war es schon.
Viele Senioren, die abseits der großen Städte leben, haben es weniger leicht.
Da stellt uns die demografische Entwicklung in der Tat vor große Herausforderungen. Wie wollen wir die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse, die das Grundgesetz fordert, weiter sicherstellen, wenn schrumpfende Regionen abseits der Ballungszentren immer mehr abgekoppelt werden? Dafür bräuchten wir eine gemeinsame Anstrengung von Bund, Ländern und Gemeinden. Und einen Blick, der weiter nach vorn geht, als das momentan der Fall ist.
Woran denken Sie dabei konkret?
Ich bin der Meinung, dass man die Städte und Gemeinden stärken muss – finanziell und personell –, damit sie dieser Aufgabe gerecht werden können. Was wir brauchen, ist ein Altenhilfestrukturgesetz. Jede Stadt muss in ihrem Rat einen Kinder- und Jugendhilfeausschuss haben und regelmäßig über die Zahl der Kitaplätze, den Zustand der Schulen und die Arbeit der Jugendhilfe Rechenschaft ablegen. Für die Älteren gibt es sowas nicht. Dabei ist es für die Lebensqualität einer Stadt doch entscheidend, dass sich alle Generationen dort wohlfühlen. Die Mobilität von Senioren ist dabei ein ganz wichtiger Punkt.
Wovon hängt für Sie ganz persönlich eine hohe Lebensqualität ab?
Mir ist vor allem der Kontakt zu anderen Menschen wichtig, dass ich Freundschaften und Bekanntschaften haben und pflegen kann. Bewegung und Begegnung, so könnte man es zusammenfassen. Das ist Gott sein Dank bei mir immer noch gegeben, ich komme viel rum und treffe viele Leute. Ich weiß aber, dass für viele im Alter Einsamkeit ein großes Problem ist. Auch hier denke ich, dass es in jedem Ort, in jeder Stadt, in jedem Stadtteil Angebote geben müsste, aus der sozialen Isolation herauszukommen. So etwas lässt sich aber nicht von oben herab administrieren, diese Hilfe kann nur direkt vor Ort geleistet werden. Auch das gehört für mich zu einer solidarischen Gesellschaft, zu einer sozialen Stadt dazu.
Gibt es Dinge, an denen Sie ganz besonders hängen? Ein Möbelstück etwa, ein Bild oder eine bestimmte Musik?
Am meisten hänge ich an meinen Büchern, auch die tägliche Zeitung und die Nachrichten sind mir wichtig. Anders als früher muss ich aber nicht mehr an jedem Augenblick des Tages wissen, was gerade auf der Welt passiert. Ich erlaube es mir, mein Handy auch mal zu Hause zu lassen und nicht erreichbar zu sein. Zeit und Muße zu haben für Dinge, die mir Spaß machen und mich interessieren, ist schon ein Stück Lebensqualität, keine Frage.
Würden Sie das Altersweisheit nennen? Mit dem Begriff kann ich wenig anfangen, ich finde ihn irgendwie verbraucht. Es gibt vernünftige alte Menschen und vernünftige junge. Das Leben ist nun mal eine ballistische Kurve: Zum Ende hin geht es nach unten, Leistungs- und Koordinationsfähigkeit lassen nach. Aber soll ich mich darüber beklagen, dass ich japse, wenn ich 30 Stufen raufgegangen bin? Warum? So ist es eben. Dafür haben wir Alten unsere Lebenserfahrung, die wir ausspielen können. Es gibt das Sprichwort: Wir laufen zwar nicht mehr so schnell, aber wir kennen die Abkürzungen. Ich finde, da ist was dran.