Frau Güldenberg, wann haben Sie das letzte Mal einen Einkaufszettel geschrieben?
(lacht) Das war gestern. Auf einem Post-it-Zettel. Mit Bleistift.
Von einer Trendforscherin hätten wir erwartet, dass das längst Ihr für Sie Kühlschrank erledigt.
Ich war gerade in Potsdam und habe einen Labortisch für die kleine Elektronikwerkstatt gekauft, die ich in meinem Wohnzimmer stehen habe. Und fast hätte ich für 400 Euro auch noch einen Inkubator mitgenommen, in dem man Bakterien züchten kann, aber das war mir dann doch zu teuer. Vielleicht sollte ich mir einen Kühlschrank kaufen, der einkaufen und Bakterien züchten kann. Sowas fehlt mir in der Tat noch.
Entschuldigung, wofür züchten Trendforscher Bakterien?
Um Biokunststoffe herzustellen. Wenn man Trends erkennen will, ist es gut, selbst ein wenig Materialforschung zu betreiben und sich mit neuen Technologien auseinanderzusetzen. In meiner Elektronikwerkstatt tüftele ich gerade daran, den Dash-Button von Amazon zu hacken, um daraus einen Prototypen zu machen, mit dem sich Nachbarschaftshilfe besser organisieren lässt.
Der Dash-Button ist ein Klingelknopf, mit dem man ohne Computer oder Smartphone bei Amazon bestellen kann. Was hat das mit Nachbarschaft zu tun?
Der umfunktionierte Dash-Button wird hier im Haus an ältere Menschen verteilt, die darüber Hilfe anfordern können. Dieser Hilfswunsch landet dann per App bei den anderen Hausbewohnern. Wir haben uns in unserer Hausgemeinschaft vier verschiedene Stufen ausgedacht: Das fängt beim Öffnen eines Marmeladenglases an oder mit der Bitte, einen Brief mit zur Post zu nehmen, und geht bis zur Begleitung zu einem Arzttermin. Beim Arbeiten daran habe ich neulich beim Löten meinen Wohnzimmertisch angekokelt. Deshalb habe ich mir jetzt den Labortisch gekauft, das ist sicherer.
Heißt das, Sie spüren Trends nicht nur nach, Sie erschaffen sie auch selbst?
Ich muss die Dinge immer selber ausprobieren, dann kann ich sie auch besser einschätzen. Im Internet kursieren Anleitungen, wie man seine eigene DNA selbst extrahieren kann, das muss ich unbedingt mal ausprobieren. Mikroelektronik, Robotik, egal, um was es geht, ich versuche immer, mich in Zukunftsthemen wenigstens ein bisschen hineinzuarbeiten.
Dann erzählen Sie doch mal, wie wir in zehn Jahren leben und welche Technologien wir nutzen werden, von denen wir heute vielleicht noch gar nichts ahnen.
Ich bin ganz, ganz sicher, dass die Sensorik in unserem Wohnumfeld stark zunehmen wird. Der Dash-Button zeigt sehr schön, wie das Internet der Dinge wirklich funktioniert: Ich brauche keinen Computer und keinen Browser mehr, um online etwas zu bestellen. Ich mache das mit einem Klingelknopf. Das Internet verlagert sich hinein in die anfassbare Welt: in den Boden, in die Wände, in die Türklinke, in die Kaffeemaschine. Die Zahl der digitalen und mechanischen Assistenten wird zunehmen, wir werden einen Automatisierungsgrad erleben, wie wir ihn bisher nur aus der Industrie kannten. Das eröffnet völlig neue Perspektiven für jeden Haushalt, insbesondere für das Wohnen im Alter. Senioren werden viel länger als bisher in der Lage sein, ein autonomes Leben zu führen. Aber natürlich bringt die neue Technik nicht nur Vorteile.
Welche Nachteile sehen Sie?
Der Stromverbrauch wird dramatisch ansteigen. Wenn ich mit dem Smartphone meine Kaffeemaschine oder meine Heizung steuern will, müssen sämtliche Geräte ständig in Bereitschaft sein. Wenn permanent Daten von einem Ort zum anderen gesendet werden, kostet das nun mal Energie. Was wir bei den Handys schon lange kennen, überträgt sich auf das Internet der Dinge: Alles ist „always on“. Das wirft natürlich auch Fragen nach der Datensicherheit auf, die dringend gelöst werden müssen.
Welche Folgen wird die Digitalisierung für die Arbeitswelt haben?
Das Schreckensszenario, wonach die Digitalisierung massenhaft Arbeitsplätze vernichten wird, sehe ich nicht. Im Gegenteil: Digitalisierung wird die Fähigkeiten der Mitarbeiter erweitern, sie werden Dinge tun können, die vor zwei Jahren noch völlig undenkbar waren. Der Arbeitsplatz, so wie wir ihn kennen, wird sich allerdings komplett ändern. Standardisierte Tätigkeiten, die dem immer gleichen Muster folgen, werden automatisiert werden. Der Mensch als Entscheider, als höchste Instanz wird aber unabdingbar bleiben. Die menschenleere Fabrik wird es ebenso wenig geben wie das menschenleere Büro.
Standardtätigkeiten werden automatisiert und trotzdem kostet die Digitalisierung keine Jobs? Wie passt das zusammen?
Die Digitalisierung sorgt für Verschiebungen innerhalb der Arbeitswelt. Nehmen wir zum Beispiel den Bereich Logistik. Aufgrund des wachsenden Onlinehandels ist dort innerhalb kürzester Zeit eine ganze Armee von Zustellern aus dem Boden gestampft worden. Auch die Möglichkeiten der Zustellung haben sich vervielfältigt: Ein Paket kann beim Nachbarn abgegeben werden, in einem nahe liegenden Geschäft oder einer Packstation. Demnächst sogar im Kofferraum eines Autos. Dafür braucht es Personal, sowas kommt ja nicht von allein. Ähnliche Entwicklungen werden wir auch im Bereich der Robotik und der IT sehen, überall dort, wo Schnittstellen zwischen der virtuellen und der realen Welt entstehen.
Die vielen Paketzusteller könnten übermorgen bereits durch Drohnen ersetzt werden.
Wenn wir ernsthaft versuchen würden, die Paketzustellung in Großstädten über Drohnen zu organisieren, würde das im kompletten Chaos enden. An abseits gelegenen Orten macht die Zustellung mit Hilfe von Drohen Sinn, in Großstädten wird es sehr strikte Regeln für den Einsatz von Drohnen geben. Die Erlaubnis, niedrig fliegende Drohnen einzusetzen, wird der Polizei, den Nachrichtendiensten und der Verkehrsüberwachung vorbehalten sein. Schon aus Sicherheitsgründen.